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Konstruktionsfehler als zum Rücktritt berechtigender Sachmangel

OLG Köln, Urteil vom 02.12.2021, AZ: 8 U 28/20
Hintergrund
Die Klägerin erwarb von der Beklagten einen gebrauchten Audi A3 Sportback Attraction 1.8 l zum Kaufpreis von 10.280,00 €. Die Übergabe des Fahrzeugs fand am 19.07.2017 statt. Aufgrund eines Motorschadens wurde das Fahrzeug erstmalig am 29.06.2018 zu der Beklagten verbracht. Wie sich später herausstellte, war die Ursache des Schadens der Umstand, dass der Halteschuh des Kettenspanners von Seiten des Herstellers derart konstruiert war, dass dieser nicht die Haltbarkeitsdauer der Steuerkette und des Motors erreichen konnte, sondern es zuvor zu einem – aus Sicht des Kunden plötzlichen – Bruch eines Zahns am Halteschuh und infolgedessen zu einem kapitalen Motorschaden kommen musste. Zweitinstanzlich hatte das OLG Köln (Vorinstanz: LG Aachen, 8 O 384/18) einen gerichtserfahrenen Sachverständigen beauftragt, welcher genau dies feststellte. Vor diesem Hintergrund war die Beklagte verpflichtet, den Kaufpreis abzüglich eines gezogenen Nutzungsvorteils für die gefahrenen Kilometer zurückzuerstatten, sodass die Berufung überwiegend erfolgreich war.

Aussage
Das OLG Köln ging entgegen der Ansicht der Beklagten nicht davon aus, dass es sich beim Defekt an der Steuerkette um gewöhnlichen Verschleiß handelte. Vielmehr stellte der vom Gericht bestellte Sachverständige explizit fest, dass hier ein Konstruktionsmangel vorlag. Der Halteschuh des Kettenspanners war vom Hersteller unzureichend konstruiert worden. Folge hieraus war, dass dieser Halteschuh nicht die Lebensdauer der Steuerkette erreichte. Abzusehen war ein (plötzlicher) Bruch mit der Folge eines kapitalen Motorschadens. Der Sachverständige habe festgestellt, dass der Halteschuh dazu gedient habe, den Kettenspanner in der Warmlaufphase des Motors zu arretieren, damit die Steuerkette auf Spannung gehalten werde. Bei der gewählten Konstruktion komme es allerdings in dem Moment, in dem der Kettenspanner gerade so weit ausgefahren sei, dass die Verzahnung genau in die Verzahnung des Kettenspanners greife, bei typischen Bewegungen der Steuerkette im Betrieb des Motors unvermeidbar zu stoßenden Belastungen auf die Verzahnung – konkret auf den Zahn, der jeweils gerade im Eingriff der Verzahnung des Kettenspanners sei. Konstruktionsbedingt führe dies auf lange Sicht zu einer Dauerbelastung für die Verzahnung und letztlich zu einem Dauerschwingbruch der Zähne. Der konstruktionsbedingte Mangel liege in der starren Verbindung zwischen Klemmstück und Kolbenstange des Kettenspanners. Auch das Material des Halteschuhs (weniger robustes Sintermetall) trage zum Entstehen des Mangels bei. Aufgrund der Beschaffenheit und der Befestigung des Halteschuhs sei dieser nicht geeignet, die Lebensdauer der Steuerkette oder des Motors zu erreichen. Auch weitere Indizien wurden festgestellt: Zum Beispiel sprachen Internetrecherchen auf entsprechenden Internetforen für den vom Sachverständigen festgestellten Konstruktionsmangel. Auf diesen lasse auch der Umstand schließen, dass Audi inzwischen die Konstruktion des Halteschuhs ausgetauscht habe. Die neue Konstruktion bestehe nicht mehr aus Verzahnungen, sondern aus einer rund ausgelegten Feder. Diese reagiere flexibel auf die Stöße der Steuerkette und die Kräfte würden besser verteilt. Das OLG Köln ging auch nicht davon aus, dass der Mangel bereits verjährt war. Zwar wurden offensichtlich in den Gebrauchtwagenverkaufsbedingungen die Verjährungsfristen auf ein Jahr begrenzt, was gemäß § 476 Abs. 2 BGB möglich ist. Insbesondere gilt dies auch in dem Falle eines Verbrauchsgüterkaufs. Daran ändere auch die Richtlinienwidrigkeit dieser Vorschrift nichts (vgl. EuGH, Urteil vom 13.07.2017, AZ: C 133/16, JZ 2018, 298). Die Regelung sei bis zu einer Neuregelung durch den deutschen Gesetzgeber wirksam und anzuwenden. Die Verkürzung der Verjährungsfrist auf ein Jahr war also wirksam erfolgt. Allerdings wurde hier über den Anspruch verhandelt, sodass eine Hemmung der Verjährung gemäß § 203 BGB eingetreten sei. Folge des wirksamen Rücktritts sei dann die Verpflichtung der Beklagten, den entrichteten Kaufpreis in Höhe von 10.280,00 € Zug um Zug gegen Rückübereignung des Fahrzeugs zurückzuerstatten. Abzuziehen wären Nutzungsvorteile in Höhe von 1.056,00 € für die gefahrenen Kilometer. Die Klägerin könne auch den Ersatz der ihr im Rahmen der Nachbesserung entstandenen Aufwendungen gemäß § 439 Abs. 2 BGB verlangen. Insbesondere ging es hier um Transport-, Wege-, Arbeits- und Materialkosten. Hinzukämen die erforderlichen Kosten zur Klärung der Mangelursache und diejenigen zur Anspruchsdurchsetzung. Die Klägerin konnte die Rückerstattung der Kosten für die Fahrzeuguntersuchung durch die Beklagte in Höhe von 156,43 € verlangen. Auch die Kosten der Diagnosearbeiten der I GmbH in Höhe von 253,66 € musste die Beklagte der Klägerin erstatten. Zumindest bestehe hier, sollte die Rechnung noch nicht beglichen worden sein, ein Freistellungsanspruch. Da die Beklagte die Erfüllung endgültig verweigert hatte, habe sich dieser Freistellungsanspruch in einen Schadenersatzanspruch umgewandelt. Auch die Kosten der Anmietung eines Anhängers zur Abholung des Fahrzeugs in Höhe von 45,00 € sprach das OLG Köln zu. Für die Nutzung des eigenen Pkw für die Abholung des Fahrzeugs waren der Klägerin pro Kilometer 0,30 € zu erstatten. Weiterhin bestätigte das OLG Köln, dass die Aufwendungen eines Herrn G und des Stiefvaters der Klägerin im Zusammenhang mit der Abholung des Fahrzeugs in Höhe von insgesamt 290,00 € ersetzbar seien. Der Geschädigte könne eigenen Arbeitsaufwand, bei welchem es sich um einen kapitalisierbaren Wert handele und welcher schadenrechtlich als ein Vermögenswert angesehen werde, ersetzt verlangen. Ersetzt verlangt werden kann nicht nur eigener Arbeits- und Zeitaufwand, sondern auch entsprechender Zeitaufwand Dritter. Dies gilt insbesondere, wenn es sich um überobligatorische Anstrengungen handelt, welche nicht dem Schädiger zugutekommen sollen. Den Aufwendungen des Herrn G und des Stiefvaters (Fahrt zum streitgegenständlichen Fahrzeug) kam mithin ein geldlicher Wert – also ein Marktwert – hinzu, welcher schadenersatzrechtlich zu ersetzen war. Hier schätzte der Senat gemäß § 287 ZPO einen Aufwand pro Person von 14,5 Stunden á 10,00 €.

Praxis
Das OLG Köln gab der Berufung der Klägerin statt und verurteilte die Beklagte weitaus überwiegend. Diese musste den erhaltenen Kaufpreis zurückerstatten. Der erfahrene Sachverständige stellte im Berufungsprozess fest, dass Audi bezüglich des Halteschuhs ein Konstruktionsmangel vorzuwerfen war. Dies ging auch zulasten des Verkäufers. Dieser haftet für das Vorliegen eines Mangels grundsätzlich verschuldensunabhängig.
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