zurück

Zum Umfang der Schadenersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall

LG Duisburg, Urteil vom 16.01.2025, AZ: 11 S 28/24
Hintergrund
In dem Berufungsverfahren vor dem LG Duisburg streiten die Parteien um die Zahlung weiteren Schadenersatzes nach einem Verkehrsunfall, die Haftung der Beklagten steht dem Grunde nach außer Streit. Nach dem Unfallereignis ließ die Klägerin ein Schadengutachten über den am Fahrzeugentstandenen Schaden erstellen. Das Gutachten wies die Reparaturkosten in Höhe von9.004,83 € brutto aus, die tatsächlichen Reparaturkosten wurden der Klägerin mit 9.495,24 €in Rechnung gestellt. Daraus folgt ein Differenzbetrag in Höhe von 985,97 €, den die Klägerin am AG Duisburg-Hamborn (AZ: 7 C 219/23) erstinstanzlich geltend machte. Die Klägerin erklärte die Abtretung etwaiger Schadenersatzansprüche gegen den Reparaturbetrieb an die Beklagte. Die Beklagte ist der Ansicht, dass sich die Klägerin aufgrund der Abtretung nicht auf das Werkstattrisiko berufen könne, zudem sei die Arbeitszeit für die Erstellung eines Farbmusterblechs und die Nutzung der Mischanlage bereits in den Vorbereitungszeiten der Lackierung enthalten und dürften nicht mehrfach berechnet werden, eine Farbtonfindung sei zudem nicht erforderlich gewesen. Kosten für eine Probefahrt seien nicht zu erstatten, ebenso gehörten die Kosten für die Reinigung des Fahrzeugs nicht zu den unfallbedingten Reparaturkosten. Entsorgungskosten seien nicht zu erstatten, die Energiekosten gehörten zu den Gemeinkosten und seien daher im Stundenverrechnungssatz enthalten. Auch seien die Verbringungskosten in der ausgewiesenen Höhe nicht nachzuvollziehen. Erstinstanzlich wurde der Klage vollumfänglich stattgegeben.

Aussage
Die Berufung des Beklagten war nach Ansicht des LG Duisburg zurückzuweisen, der Klägerin steht ein Anspruch auf Zahlung weiterer 985,97 € zu. Soweit der Beklagte behauptet, die Klägerin habe ihre Ansprüche gegen ihn bei der Erteilung des Werkstattauftrags an die Werkstatt abgetreten, ist diese Behauptung nach Ansicht deserkennenden Gerichts offensichtlich unsubstantiiert. Auch die Behauptung, die Klägerin habe den Reparaturauftrag nicht auf Grundlage des zuvor eingeholten Sachverständigengutachtens erteilt, geht ins Leere – die Beklagte begründet ihre Annahme einzig auf dem Umstand, dass die Reparaturkosten höher ausfielen, als ursprünglich im Gutachten prognostiziert. „Im Übrigen dringt der Beklagte mit seiner Rüge der Erforderlichkeit der von der Klägerin in diesem Rechtsstreit geltend gemachten weiteren Reparaturkosten von 985,97 € nicht durch. Die Klägerin kann sich in vollem Umfang auf das sog. „Werkstattrisiko" berufen. Übergibt der Geschädigte das beschädigte Fahrzeug – wie hier - an eine Fachwerkstatt zur Instandsetzung, ohne dass ihn insoweit ein (insbesondere Auswahl - oder Überwachungs-)Verschulden trifft, sind dadurch anfallende Reparaturkosten im Verhältnis des Geschädigten zum Schädiger aufgrund der subjektbezogenen Schadenbetrachtung auch dann vollumfänglich ersatzfähig, wenn sie etwa wegen überhöhter Ansätze von Material oder Arbeitszeit oder wegen unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise der Werkstattunangemessen, mithin nicht erforderlich im Sinne von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB sind. Nachdem Grundsatz der subjektbezogenen Schadenbetrachtung wird der „erforderliche" Herstellungsaufwand nicht allein durch Art und Ausmaß des Schadens sowie die örtlichen und zeitlichen Gegebenheiten für seine Beseitigung, sondern auch durch die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere seine Erkenntnis - und Einflussmöglichkeiten sowie die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten bestimmt. Bei der Beurteilung der Erforderlichkeit der Herstellungskosten ist ungeachtet des Wirtschaftlichkeitsgebots Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere auf seine Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu nehmen (sog. subjektive Schadenbetrachtung). Danach ist ein (Auswahl-) Verschulden unter Zugrundelegung der Möglichkeiten der Klägerin im hiesigen Einzelfall nicht feststellbar. Sämtliche der folgenden Kostenpositionen waren in dem seitens der Klägerin eingeholten DEKRA-Gutachten bereits enthalten:- Arbeitszeiten für die Erstellung eines Farbmusterblechs und die Nutzung der Mischanlage,- Kosten für die Farbtonfindung,- Kosten für die Endkontrollen/Probefahrten/Testfahrten und- Reinigungskosten. Damit durfte die Klägerin davon ausgehen, dass es sich bei den vorgenannten Positionen um Kosten handelte, die zur Reparatur ihres Fahrzeugs erforderlich und angemessen waren. Hinsichtlich der Probefahrt ist ergänzend auszuführen, dass das Fahrzeug der Klägerin über einen Parkassistenten verfügt und Instandsetzungsarbeiten im Bereich der Heckstoßstangeerfolgt sind. Aus ihrer Sicht war eine Probefahrt zum Test der Fahrzeugelektronik ohne weiteres nachvollziehbar. Da an ihrem Fahrzeug auch recht umfangreiche (Lack-)Arbeiten stattfinden sollten, war aus ihrer Sicht auch plausibel, dass eine Fahrzeugreinigung allein schon zur optischen Kontrolleder Lackarbeiten erforderlich war. Zudem war es aus ihrer Sicht auch ohne weiteres möglich, dass es bei der Durchführung der Instandsetzungsarbeiten zu oberflächlichen Verschmutzungen ihres Fahrzeugs kam, deren Beseitigung sie als Kundin erwarten durfte. Soweit Entsorgungskosten in der Werkstattrechnung, aber nicht in dem DEKRA- Gutachtenenthalten gewesen sind, spricht nichts für ein diesbezügliches Auswahlverschulden der Klägerin. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass für sie als durchschnittliche Werkstattkundin ersichtlich gewesen wäre, dass „der Hersteller eine kostenlose Rücknahmebei einem gleichzeitigen Erwerb von entsprechenden Neuteilen garantiere". Gleiches gilt für die berechneten Energiekosten und die Kosten für Sicherheitsmaßnahmen für eine Ofentrocknung. Da eine Instandsetzung des Lacks ihres Fahrzeugs erforderlich war, hatte die Klägerin keinen Anlass, an dieser Kostenposition zu zweifeln. Die vorgenannten Kostenpositionen sind infolgedessen ebenfalls ersatzfähig.“ Auch die Verbringungskosten sind von dem Beklagten zu erstatten, soweit er der Ansicht ist, dass diese üblicherweise nicht anfielen und die Klägerin daher ein Auswahlverschulden träfe, hätte er konkrete Referenzwerkstätten in der Nähe benennen müssen, bei denen diese Kosten nicht angefallen wären.

Praxis
Im Verfahren vor dem LG Duisburg zeigte sich der Beklagte (und Berufungskläger) überaus kreativ in dem Umfang der von ihm angegriffenen Positionen. Es zeigt sich einmal mehr, dass es sinnvoll sein kann, einen fachkundigen Rechtsanwalt mit der Durchsetzung von Schadenersatzpositionen nach einem Verkehrsunfall zu beauftragen. (Erstritten von RA Oliver Güldenberg, Duisburg/Voerde)
hoch
Gratisfahrt nach oben